Autor: Henri du Vinage
Januar 2017
Irland
Der 31. Oktober eines jeden Jahres
ist ein Nationalfeiertag in Irland. Es
spukt im ganzen Land.
Keltisches Ritual, Tradition, Kinder-
Party oder verkappter Karneval?
Die Novembernebel legen sich über Wiesen und Hügellandschaften um die westirische Stadt Galway. Die Wasser des River Vorrieb rauschen tosend und schäumend über Wehre und mittelalterliche Brücken hindurch, bevor sie sich mit dem Atlantik vereinigen. Der Fluß entspringt aus den Gewässern des Lough Vorrieb, der heute mit den vielen kleinen Inseln im Nebel eintaucht. Dunkle Schatten huschen über die Wellen des Sees. Die Ufer lassen sich nur erahnen. Die Bäume und Sträucher der vielen steinigen Miniatur-Eilande sind in aufgeregter Bewegung, ein geheimnisvoller Luftstrom erregt die Landschaft. Ab und zu krächzt eine Krähe, eine furchteinflößende Atmosphäre umgibt Menschen, Tiere sowie alle Wesen, die sich zu dieser unwirklichen Zeit auf den Wegen in das rettende Heim befinden. In den Dörfern und Kleinstädten mit wundersamen Namen übernimmt der feuchtkalte Dunst die Macht. Auf der N59 aus Galway kommend geht die Fahrt durch Moycullen, Knockferry, Carrowmoreknock, Aughnanure Castle und Oghterard. Die Pubs wirken in der nebligen Hülle als seien sie die letzte Zuflucht Draculas. Bram Stokers‘ Romanfigur schleicht durch die Gassen auf der Suche nach einem Opfer. Das Blut aus dem Hals einer schönen, jungen Frau wäre das rechte Nachtmahl.
Irisches Klima, Landschaft und die Fantasie regen zu Märchen, Legenden und Feengeschichten an. Ein einsamer Baum in der Weite einer sattgrünen Wiese, behängt mit Wunschzetteln und allem möglichen Firlefanz, ist der auserkorene Wohnsitz der Feen und Elfen. Das geübte Ohr hört aus weiter Entfernung das Piepsen und schnattern der lebhaften Feen. Haben sie gute Laune, sind die kleinen Wesen den Menschen gewogen. Wehe dem, der sich nähert, wenn sie mies drauf sind. Sie mögen keine Störenfriede und so müssen sich die Menschen ihnen ehrfurchtsvoll, schweigsam und mit Anstand nähern. Die Iren wissen das und halten sich an das ungeschriebene Gesetz. Sie wollen es sich nicht mit den Feen verderben, respektieren ihre Gesetze und ihre Macht. Die Bäume zieren Wunschzettel, manchmal auch Kleidungsstücke. Angeblich gehen die Wünsche in Erfüllung. Die Besucher der Insel übertreten immer wieder dieses Gesetz. Dann kommt die Feenbehausung in Wallung. Das aufgeregte Piepsen ist laut und eindringlich.
Unterschiedliche Geschöpfe bewohnen Wald, Wiesen, Berge und die kleinen Inseln. Der »Grogoch« ein überwiegend freundlicher Geselle ist klein und rot behaart. Er ähnelt der Menschengestalt. Die Gestalt des »Pucks« verändert sich ständig. Kein angenehmer Bursche, da er dem Menschen gerne schadet. Die Meerjungfrau »Merrow« schaffte es bis Irland. Weitere gespenstische Gestalten seien noch erwähnt: Die Banshee, der Leprechaun, der Dullahan, der Wechselbalg und die Sheerie treiben sich überall herum. Diese Wesen sind wahrscheinlich, die Forscher und Geschichtsschreiber wissen es nicht besser, übriggebliebene Gottheiten der Naturvölker, die einst die Insel bevölkerten.
1825 veröffentlichten die Gebrüder Grimm eine übersetzte Textsammlung von irischen Feenmärchen. Die beiden Sprachwissenschaftler beschreiben in der Einleitung die Arten des irischen Elfen- und Feenglaubens.
Das Ursprungsland der Halloween-Parties, dachte ich bisher, sind die USA. Weitgefehlt! Halloween hat die traditionellen Wurzeln in Irland. Der gesetzliche Feiertag wird am 31. Oktober, am Vorabend zu unserem christlichen Allerheiligen gefeiert. Eine Überlieferung aus der keltischen Kultur. Das Wort Halloween, vermuten Wissenschaftler, könnte aus dem Englischen »All Hallows Eve« kommen. Ursprünglich feierten die Kelten das Ende des Sommers und das Einbringen der letzten Ernte des Jahres. Sie glaubten, dass die Toten zurück auf die Erde kämen. Für sie bereiteten sie feine Speisen und Getränke vor, um sie gütig zu stimmen. Der Lebenskreislauf, von der Geburt bis zum Tod, war respektvoll in den Traditionen verankert.
Das heutige Halloween-Fest zeigt sich im Gewand von Kinderparties, Straßenumzügen, gruseligen Gerippen in den Vorgärten, Spinnenweben aus Kunstfasern an den Fenstern, durch die Luft fliegende Hexen in den Pubs und geheimnisvollen Elfen-, Feen- und Trollfiguren. Die Umzüge toben draußen. Die Party erinnert an Karneval. Bierfröhlich geht es in den nächsten Tag hinein.
Animiert von der tollen Stimmung des Halloween-Fests kaufte ich am Tag nach der Party alle Grusel-Restbestände auf. Der Koffer ließ sich kaum schließen. Spinnennetze, Blut in Tuben, Narben als Pflaster, Perücken und die übelsten Gruselmasken übernahmen den Platz der sorgfältig zusammengelegten Hosen und Hemden. Ob unsere Freunde mit genausolcher Begeisterung bei der von uns organisierten Party feiern werden, wird sich zeigen.
Reisetipps
Tipp 1: Bridget‘s Garden bei Galway, www.bridgetsgarden.ie. Eintauchen in die keltische Kultur, die Jahreszeiten und den ewigen Kreislauf des Lebens. Du verstehst jetzt: Feen und andere ferne Wesen. Kinder haben Spaß.
Tipp 2: Newgrange, 60 km nordwestlich von Dublin, http://www.newgrange.com. Eine Grabkammer älter als die ägyptischen Pyramiden. Zur Sommersonnenwende, Ende Dezember, erreichen die gebündelten Sonnenstrahlen durch eine Öffnung des Eingangs die Grabkammer. Ein fantastisches Spektakel sowie ein architektonisches Meisterstück. Reservierung notwendig, da nur wenige Besucher täglich zugelassen sind.
Werner Gollbach (Freitag, 17 Februar 2017 09:42)
Hallo Henri, eine sehr interessante Lektüre, lebendig beschrieben, man sieht sich direkt in die Landschaft hinein versetzt und kann das Mystische und Gespenstische des Landes spüren. Sehr interessant auch die Recherche über das Halloween-Brauchtum. Ich dachte auch, Halloween käme eher aus den USA. Man lernt nie aus!
Liebe Grüße
Werner